"Du gehst jetzt durch diese Türe und schaust, was passiert."
Nachdem die Türe geöffnet wurde erblickt ich eine sich unnatürlich bewegende Person in einem klobigen Vollschutzanzug, die letztendlich versucht mich zu würgen.
"Wir schauen nun dieses Video, reden drüber und üben dieses Szenario." Letztendlich stehe ich neben jemanden an einer fiktiven Örtlichkeit und die Person neben mir
kopiert den Angriff aus dem Video.
"Du gehst in diesen Raum. Dort sind mehrere Personen. Schau, was passiert". Ich öffne erneut irgendeine Türe, sehe zehn Personen und einer davon trägt diesen klobigen Vollschutzanzug. Und wer
hätte es gedacht, die Person im klobigen Outfit möchte mich dann auch noch angreifen.
Wer kennt es nicht? Diese Art des realitätsbezogenen Szenariotrainings. Oder die oftmalige Verwechslung von Szenario- und Stresstraining.
"Mach mal 1000 Burpees und dann greift Dich Kalle mit einem Baseballschläger an."
Wir beschäftigen uns viel mit Szenariotraining und versuchen ständig eine Verbesserung aufgrund von ständig neu gewonnener Erfahrungen zu erreichen.Grundsätzlich gelten in unseren Szenarien
folgende Standards:"
Jeder hat den Vorgaben und Anweisungen der Trainer zu folgen.
- Jeder ist für sich selbst verantwortlich.
- Jeder ist für das verantwortlich, was er tut.
Diese Standards werden niemals eingeschränkt oder diskutiert. Mit den Vorgaben und Anweisungen der Trainer geht eine klare Formulierung, der zum Szenario dazugehörigen Örtlichkeit(en), Personen
und Ausrüstung bzw. Waffen einher.Sind Schusswaffen in Form von FX, RAM oder Airsoft Bestandteil eines Szenarios, so gelten hier die vier Sicherheitsregeln nach Jeff Cooper
- Jede Waffe ist geladen.
- Die Mündung zeigt nur auf das, was ich auch beschießen will.
- Der Finger berührt nur nach Entscheidung zur Schussabgabe den Abzug.
- Ich kenne mein Ziel und achte auf das, was dahinter ist.
Weiterhin wird für diese Szenarien ein separater Sicherheitsraum für alle nicht im Szenario eingebundenen Personen zur Verfügung gestellt. Diese können sich in diesem Raum ohne Schutzausrüstung
bewegen. Eine Überschneidung der Trainingsfläche mit dem Sicherheitsraum darf zu keinem Zeitpunkt stattfinden.
Eine Sicherheitsüberprüfung der genutzten Trainingsfläche und der genutzten Ausrüstung hat im Vorfeld durch die Trainer zu erfolgen. Mögliche potentielle Gefahrenquellen sind
auszuschließen.
Es ist davon abzuraten ein komplexes Szenario im Vorfeld mittels eines Probelaufs durch dazugehörige Trainer oder Mitgestalter zu testen. Diese verfügen oftmals über zuviel Detailwissen und
verhalten sich somit nicht im Sinne der Trainingsgestaltung.
Allen im Szenario mitwirkenden Personen wird vor Beginn des Trainings das "Drehbuch" erläutert. Dieses "Drehbuch" enthält genaue Handlungsanleitungen für im Szenario agierende Personen.
Eigeninitiative darf nicht stattfinden oder geduldet werden.Auch sollte hier darauf geachtet werden, dass die Teilnehmer den eigenen Charakter mit einer Handlungsanleitung wiedergeben. Ein
künstliches Verstellen oder Nachahmen bestimmter Personengruppen oder Slang hat den Verlust der Ernsthaftigkeit zur folge und wirkt störend.
"Stop" heißt "Stop". Jede mitwirkende Person kann das Training jederzeit abbrechen. Aus welchen Gründen dieses erfolgt, ist unwichtig. Der Trainingsbetrieb ist zu unterbrechen.Es sollte darauf
geachtet werden, dass ein stoppen des Trainings nicht aufgrund einer nicht erreichbaren Aufgabenstellung erfolgt.
Beispiel:Die Aufgabenstellung lässt jemanden durch eine Tür gehen, die durch eine weitere Person versperrt wird. Jegliches physisches Handeln ist untersagt und die Person innerhalb der Tür lässt
keine Diskussion zu bzw. reagiert nicht auf die Konversation.
Derartige Beispiele führen sofort zu einer Stagnation des Trainingsbetriebes und basieren nicht auf eine realitätsnahen Gestaltung.
Ein "real begründeter Rückzug" sollte ebenfalls möglich sein und es sollte auch auf diese Option hingewiesen werden. "Real begründete Rückzuge" haben ein Abbruch des Szenarios mit anschließender
logischer Erklärung der folgenden Maßnahmen zur Folge.
Beispiel:Abbruch durch Trainingsteilnehmer mit der Begründung, dass er an dieser Stelle die Örtlichkeit verlassen und Hilfe gerufen hätte.
Gerade in den Szenarientrainings, in denen eine situative Gewaltanwendung erfolgen darf, muss das "Drehbuch" durchdacht geschrieben werden. Beinhaltet mein Szenario ein grundsätzliche
Gewaltanwendung verzichte ich auf wesentliche Bestandteile des Kontaktmanagement und somit des eigentlichen Konzeptes zur Begegnung von Aggression und Gewalt. Flucht, Deeskalation, präventive
Gewalt, usw. sind Bestandteile der meisten Selbstschutzsysteme. Diese müssen auch in der Gestaltung der Szenarien abgefordert werden.Eine reine Gewaltanwendung lässt andere wesentliche
Bestandteile des Konzeptes in den Hintergrund rücken. Gerade in kleinen Szenarien mit nur zwei Personen, darf die Erwartung an das Szenario nicht die ständige Gewaltanwendung zu Beendigung
sein.
Einen der größten Knackpunkte stellt in der Regel die benötigte Ausrüstung dar. Die Teilnehmer müssen über die erforderliche Schutzausrüstung verfügen. Habe ich nur einen Vollschutzanzug oder nur
einen Helm zu Verfügung, brauche ich vorerst keine Szenarien mit mehreren Teilnehmern planen.Teilnehmer verhalten sich komplett anders, wenn in einem Szenario 10 Personen mit einem identischen
Schutz agieren. Gerade dann, wenn eine normale Kommunikation mit anderen Personen ebenfalls Teil des Trainings ist und man nicht direkt ausmachen kann, wer welche Handlungsanleitung bekommen
hat.
Beispiel:Trainiert man im Bereich des Kontaktmanagement in einer Toilette innerhalb einer Bar oder Diskothek, so muss man diese Räumlichkeit auch mit mehreren Personen füllen. Ist situative
Gewalt ein möglicher Bestandteil des Szenarios, so müssen alle über einheitliche Schutzausrüstung verfügen oder zumindest über qualitativ identische.
Die damit verbundenen Kosten in der Anschaffung der Ausrüstung sind immens. Wer bestellt auch mal eben Vollschutzanzüge für alle Kursteilnehmer? Das dieses einen andauernden Prozess darstellt,
sollte jedem klar sein. Jedem, der zumindest in diesem Bereich professionell agieren möchte.
Aber auch im Bereich eines guten Szenariotrainings im Bereich des Kontaktmanagement, werden immer Grenzen aufgezeigt.Leider sind nicht alle Indikatoren von Aggression und Gewalt zu simulieren
oder wären nicht mit Nutzung von Schutzausrüstung sichtbar.Positionierung und Bewegungen lassen sich simulieren, zum Beispiel das zurücknehmen eines Armes, das Umschauen, etc. Auch kann zum
Beispiel eine direkte und offensive Sprache dargestellt werden.Sichtbare Adern, eine Rötung der Haut, zittrige Kaubewegungen und dergleichen können nur sehr schlecht dargestellt werden und sind
im Szenario unter einem Schutzhelm auch nicht mehr sichtbar.
"Theoretisiere die Praxis - Praktiziere nicht die Theorie."
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