"Lieschen Müller muss dem 2,50 Meter großen und 175kg schweren Gegner nur beide Arme abbeißen und schon ist sie frei und kann wieder zurück auf die Party."
Sätze dieser Art haben wir schon alle einmal gehört, doch ganz so einfach ist das leider nicht.
Das menschliche Gebiss besteht im Normalfall aus 28 Zähnen und gliedert sich in acht Schneidezähne, vier Eckzähne, acht vordere Backenzähne und acht hintere Backenzähne auf. Hinzu kommen noch die vier sogenannten Weisheitszähne.
Die meißelförmigen Schneidezähne können die Nahrung ergreifen und in kleinere Stücke zertrennen. Der anschließende Eckzahn ist ein spitzer, dolchartiger Zahn, der bei Raubtieren besonders stark ausgebildet ist und auch als Reißzahn funktioniert. Die eigentliche Kau- und Mahltätigkeit erfolgt durch die vorderen und hinteren Backenzähne.
Da unsere Zähne im Vergleich zu Raubtieren nicht besonders spitz sind, verursachen die meisten von Menschen herbeigeführten Bisse eine Quetschung oder eine oberflächliche Risswunde. Allerdings kann auch ein menschlicher Biss fleischige Körperteile wie Ohren, Nase und Penis oder sogar Fingerglieder abtrennen.
Auch eine freiliegende beziehungsweise nicht durch Kleidung verdeckte Halsschlagader kann hier ein sehr empfindliches Ziel darstellen.
Die Kaumuskulatur ist der stärkste Muskel bei uns Menschen und selbst die modernen Essgewohnheiten haben keinen großen Einfluss auf unsere Beißkraft selbst gehabt.
Dennoch ist ein Biss und der damit verbundene Schaden nicht nur von der Beißkraft, sondern auch von der Beschaffenheit eines Gebisses abhängig und da ist der Mensch der Tierwelt unterlegen.
Im Selbsttest könnte man hier einfach mal versuchen ein großes Stück aus einem rohen Fleischstück herauszubeißen oder herauszureißen.
Bedeckt man dieses Fleischstück noch mit diversen Lagen an Kleidung verändert sich das Ergebnis zum Nachteil des Bisses. Auch wenn wir oftmals unser Training in Shorts und in Shirts absolvieren, tragen wir in unseren Breitengraden witterungsangepasst die Hälfte des Jahres Kleidung, die die Wirkung eines Bisses mindern.
Das eingefügte Video ist für manch eine oder einen sicherlich etwas verstörend, aber es zeigt auch stellvertretend für unzählige weitere Videos dieser Art eines der großen Selbstverteidigungsmythen in realer Anwendung.
Rein objektiv betrachtet, handelt es sich bei diesem Biss in das Ohr um eine Verletzung des Gewebes, diese wirkt nicht erheblich physisch auf eine andere Person ein. Inwieweit diese psychisch auf eine andere Person einwirkt, ist von vielen Umständen abhängig. Wichtig bleibt aber zu verstehen, dass nicht alles, was wir im Training erfahren, dort als unangenehm oder schmerzhaft empfinden, auch unter den obigen Bedingungen zu selbigen Reaktionen führt. Von einer generellen Pauschalisierung "das ist dann so..." sollte abgesehen werden.
Hier greift wieder unser sogenanntes "Swinger-Club-Prinzip" - alles kann, nichts muss.
Wichtig ist weiterhin zu verstehen, dass zum Beispiel ein Biss als letztes Mittel der Wahl betrachtet und nicht aktiv gesucht werden sollte. Die Distanz zum Gegner sollte niemals für einen Biss oder ein anderes Mittel dieser Art überbrückt werden.
Ist ein Biss situativ überhaupt möglich, wird dieser höchstwahrscheinlich in den seltensten Fällen den Kampfverlauf beenden, sondern nur eine Reaktion hervorrufen oder gegebenenfalls sogar die Aggression oder Gewalt gegen die eigene Person erhöhen.
Kommt es durch einen Biss zu einer Reaktion der gebissenen Person, einem situativen Türöffner, bedarf es sofort weiterer technischer Kompetenz und wir sprechen im absoluten Nahbereich von einer Distanz in der ringerische Elemente oder kämpferische Fähigkeiten am Boden vorerst überwiegen dürften.
Sprich oben genannte Lieschen Müller könnte durch einen Biss ihre Situation kurzzeitig verbessern, bedarf dann aber sofort weitere Handlungskompetenzen. Diese Kompetenzen erlangt man durch konzentriertes Training und nur durch konzentriertes Training.
Allgemein gilt es zu verstehen, dass die oftmals erwähnte Lieschen Müller höchstwahrscheinlich nicht in die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen aufsteigen wird, aber auch sie oder ihr männliches Pendant werden in gewissen Situationen ohne physische Fähigkeiten nicht mehr weiterkommen.
Vielleicht sollte man sich einfach mal von dem Bild befreien, dass grundsätzlich die 50kg Frau in einem Szenario gegen den 100kg Titanen in einer stereotypischen Auseinandersetzung kämpfen wird. Dennoch sind gut strukturierte physische Grundlagen von außerordentlicher Wichtigkeit, wenn Kontaktmanagement, Kommunikation, Deeskalation und andere sogenannter "soft skills" nicht mehr greifen.
Fakt ist, jede oder jeder von uns kann einen anderen Menschen beißen. Nimmt man aber die oben genannten Fakten und betrachtet einen menschlichen Biss in einer physischen Konfrontation ganz rational, verliert dieser an Lukrativität und sollte niemals als Ersatz für eine nicht vorhandene technische Kompetenz gesehen werden.
Gewalt ist ein situativer und dynamischer Prozesses und das Training unter Druck stellt hier eines der Hauptprobleme dar. Der Biss in eine selbst gehaltene Handpratze, einen Sandsack oder sogenannten Bob ist kampftaktisch mit dem Biss in ein gutes Stück Steak vergleichbar. Nur das letzteres mit einem frisch gezapften Craft Beer und in guter Gesellschaft einfach besser schmeckt.
Schläge, Tritte, Ringen und Bodenkampf können wir unter Druck und im Vollkontakt trainieren - einen Biss zu integrieren wird schon schwieriger. Gerade dann, wenn wir zum Schutz Helme tragen, ist ein Beißen überhaupt nicht möglich und durch das oftmals zu beobachtende "knurrende" Andeuten wird keine situative Reaktion hervorgerufen, die in den Kampf- oder Trainingsverlauf eingreift.
Reduziert man im Gegenzug die Härte, mangelt es am Nachgang an dem Verständnis, dass ein Beißen bei kräftigen Kopfumklammerungen oder Druck auf den Kiefer nur noch erschwert oder überhaupt nicht möglich ist.
Diese Erfahrungen sind aber wiederum von enormer Bedeutung, da sie eine Einschätzung der eigenen Kompetenzen ermöglichen und dem manifestierten Aberglauben an Selbstverteidigungsmythen und vollkommenen Fehleinschätzungen unterbinden sowie Trainingsnarben verhindern.
Hinzu kommt, dass das Beißen eines anderen Menschen im gewissen Maße ein intimer Prozess ist und nicht jede oder jeder von uns im Training ständig einen anderen Menschen tatsächlich beißen möchte.
Trainiert man ohne Kopfschutz ist ein Beißen möglich. Die Erfahrung zeigt aber, dass unter Druck und im Vollkontakt mit Schlägen zum Kopf eine Andeutung eines Bisses nicht ausreichend ist. Von der Trainingsprogrammierung kommt man zwangsläufig zu verschiedenen Fragestellungen nach Sinn und Unsinn in der Umsetzung.
Beim Beißen eines anderen Menschen besteht grundsätzlich ein Infektionsrisiko, das in der eigenen Risikobewertung von Bissen nicht unbedacht lassen werden sollte.
Abschließend sei auch erwähnt, dass Verletzungen durch menschliche Bisse nicht zu unterschätzen sind. Die unregelmäßige Form der Bisswunde kann dazu führen, dass sich versteckte Taschen und damit Abszesse bilden können und Wunden sollten daher umgehend gespült werden.
Aufgrund der starken Keimbesiedlung des Speichels und der Zähne ist das Infektionsrisiko nach Bissverletzungen hoch. Generell kommt es bei 15 bis zu 25 Prozent der durch Menschen verursachten Bissverletzungen zu Infektionen.
In fast der Hälfte aller Fälle handelt es sich um aerob-anaerobe Mischinfektionen durch Mikroorganismen der oralen Bakterienflora der beißenden Person, seltener um Keime der Hautflora des Gebissenen.
Die häufigsten Infektionserreger nach Bissverletzungen sind Staphylokokken und Streptokokken. Der Erreger Eikenella Corrrodens wird in bis zu 30 Prozent aller infizierten menschlichen Bisswunden gefunden.
Gerade bei Menschenbissen können auch Krankheiten wie Hepatitis oder auch HIV übertragen werden. Bei Ansteckungsverdacht sollte umgehend eine Ärztin oder ein Arzt konsultiert werden, damit eine weitere ärztliche Versorgung gewährleistet werden kann.
Schaue doch auch einfach mal in unserem Shop und unserem Seminarkalender vorbei - schadet nie und bereichert Dein Leben ungemein.
Bleibt gesund und trainiert mit einem Fokus auf das Wesentliche!
Joe